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Grundlagen CSRD - #5 Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse

Mit der Verabschiedung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) am 5. Januar 2023 erleben wir einen der bedeutendsten Meilensteine in der externen Berichterstattung. Grund genug, einen Blick hinter die Kulissen dieser Richtlinie zu werfen. In dieser Beitragsreihe beleuchten wir die Grundlagen der CSRD und deren Auswirkungen auf mittelständische Familienunternehmen.

Im fünften Teil unserer Beitragsreihe befassen wir uns mit dem Dreh- und Angelpunkt der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach CSRD, der doppelten Wesentlichkeitsanalyse:

 

Grundlagen der doppelten Wesentlichkeitsanalyse

Im Unternehmenskontext befasst sich die Diskussion über Nachhaltigkeit typischerweise mit den drei Dimensionen Umwelt, Soziales und Governance (kurz: ESG für Environmental, Social, Governance). Innerhalb dieser Dimensionen verbergen sich konkrete Nachhaltigkeitsaspekte oder -themen. Ein Beispiel für einen Nachhaltigkeitsaspekt in der Dimension "Umwelt" könnte "Luftverschmutzung" sein, während in der Dimension "Soziales" beispielsweise das Thema "Arbeitsschutz" relevant ist.

Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sind entlang dieser Dimensionen und den zugrunde liegenden Nachhaltigkeitsthemen strukturiert, wie bereits in einem vorherigen Beitrag erläutert. Die themenspezifischen ESRS umfassen insgesamt knapp einhundert dieser Nachhaltigkeitsthemen, die entlang der ESG-Dimensionen in Unter- und Unter-Unterthemen strukturiert sind. Eine Liste aller durch die ESRS abgedeckten Nachhaltigkeitsaspekte findet sich in Anlage A, Textziffer 16 des ESRS 1. Obwohl diese Liste nicht abschließend ist und um branchen- oder unternehmensspezifische Aspekte ergänzt werden muss, bietet sie eine solide Grundlage, um einen Überblick über die Nachhaltigkeitsthemen zu erhalten.

Das Ziel und der Zweck der doppelten Wesentlichkeitsanalyse besteht darin, herauszufinden, welche dieser Nachhaltigkeitsaspekte für ein Unternehmen tatsächlich relevant sind – und somit wesentlich. Um dies zu bewerten, müssen wir für jeden Nachhaltigkeitsaspekt zwei Perspektiven einnehmen: die „Inside-Out“ Perspektive und die „Outside-in“ Perspektive.

Die „Inside-Out“ Perspektive beschreibt die negativen oder positiven Auswirkungen eines Unternehmens auf die Umwelt und die Menschen im Zusammenhang mit einem bestimmten Nachhaltigkeitsaspekt. Ein Unternehmen mit einer großen Dieselflotte setzt beispielsweise eine erhebliche Menge an Feinstaub frei. Im Kontext des Nachhaltigkeitsaspekts "Luftverschmutzung" hätte das Unternehmen daher eine negative Auswirkung auf die Gesundheit der Anwohner.

Im Gegensatz dazu betrachtet die „Outside-In“ Perspektive die Risiken oder Chancen, denen ein Unternehmen im Zusammenhang mit einem bestimmten Nachhaltigkeitsaspekt ausgesetzt ist. In dem oben genannten Beispiel könnten weitere Dieselfahrverbote unter dem Nachhaltigkeitsaspekt „Luftverschmutzung“ das Unternehmen einschränken und somit ein Risiko darstellen.

Im Kontext der CSRD bzw. der ESRS sprechen wir daher zusammenfassend von Auswirkungen, Risiken und Chancen (kurz: IRO für Impacts, Risks and Opportunities). Dieser Begriff fasst also beide Perspektiven zusammen.

 

Bedeutung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse

Im Kontext der doppelten Wesentlichkeitsanalyse wird ein Nachhaltigkeitsaspekt für ein Unternehmen als wesentlich betrachtet, wenn das Unternehmen innerhalb dieses Aspekts:

  • wesentliche positive oder negative Auswirkungen aufweist,
  • wesentlichen Risiken oder Chancen ausgesetzt ist, oder
  • wenn beides zutrifft.

Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse bildet somit die Grundlage für alle weiteren Schritte, denn nur wenn ein Nachhaltigkeitsaspekt als wesentlich erachtet wird, ist gemäß der CSRD bzw. ESRS darüber zu berichten. Die ESRS umfassen insgesamt über 82 Angabepflichten („Disclosure Requirements“), die mehr als 1.100 individuelle Datenpunkte umfassen, die alle Nachhaltigkeitsaspekte abdecken. Durch die doppelte Wesentlichkeitsanalyse wird die Anzahl der Angabepflichten und Datenpunkte auf die wesentlichen Themen eingegrenzt werden.

 

Vorbereitung auf die doppelte Wesentlichkeitsanalyse

Bevor die doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt werden kann, sind einige Vorbereitungen von entscheidender Bedeutung. Diese bilden das Fundament, um später Auswirkungen, Risiken und Chancen sinnvoll zu identifizieren und zu bewerten.

Im ersten Schritt muss der Konsolidierungskreis für die Nachhaltigkeitsberichterstattung festgelegt werden – das sogenannte "Scoping". Dies orientiert sich typischerweise am Konsolidierungskreis für die finanzielle Berichterstattung. Es kann jedoch vorkommen, dass beispielsweise ein Tochterunternehmen für die finanzielle Berichterstattung nicht relevant ist (zum Beispiel aufgrund seiner Größe), jedoch für die Nachhaltigkeitserklärung eine zentrale Rolle spielt (beispielsweise aufgrund der Verarbeitung besorgniserregender Stoffe). Das „Scoping“ legt fest, welche rechtlichen Einheiten einer Unternehmensgruppe der Berichterstattungspflicht gemäß CSRD unterliegen und daher auch in die doppelte Wesentlichkeitsanalyse einbezogen werden müssen.

Im zweiten Schritt sollten Unternehmen verschiedene Status Quo Analysen durchführen. Das Ziel dieser Analysen ist es, ein möglichst umfassendes Bild über das Unternehmen selbst, seine vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten, seine Stakeholder und sein Umfeld zu generieren. Die Intensität dieser Analysen kann je nach Unternehmensgröße und -komplexität variieren, wobei es ratsam ist, auf bereits vorhandene Inhalte zurückzugreifen.

Im dritten Schritt ist es unerlässlich, den Kontext der einzelnen Nachhaltigkeitsaspekte aus den ESRS genauer zu verstehen. Für die Durchführung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse müssen alle Beteiligten verstehen, was mit den knapp hundert Nachhaltigkeitsthemen gemeint ist.

 

Identifizierung von Auswirkungen, Risiken & Chancen

Nach Festlegung des Betrachtungsrahmens durch das „Scoping“, der Erstellung eines transparenten Überblicks über das Unternehmen, dessen Stakeholder und sein Umfeld durch Analysen sowie der Erlangung einer Grundkenntnis über den Kontext der jeweiligen Nachhaltigkeitsaspekte, kann die Identifizierung der unternehmensrelevanten Auswirkungen, Risiken und Chancen (IROs) beginnen.

Als Ausgangspunkt für die Identifizierung (im Folgenden auch Sammlung) von IROs dient die oben genannte Liste aus Anlage A, Textziffer 16 des ESRS 1, die die knapp hundert vorgegebenen Nachhaltigkeitsaspekte entlang der ESG-Dimensionen umfasst, im Folgenden „Long-List“ genannt.

Die Liste wird nun Nachhaltigkeitsaspekt für Nachhaltigkeitsaspekt durchgearbeitet: Je Nachhaltigkeitsaspekt werden zuerst die negativen oder positiven Auswirkungen gemäß der „Inside-Out“ Perspektive gesammelt. Anschließend werden entsprechende Risiken oder Chancen gemäß der „Outside-In“ Perspektive erfasst. Häufig ergeben sich aus den Auswirkungen eines Unternehmens direkt Risiken oder Chancen – wie im obigen Beispiel der Diesel-Flotte. Es kann aber auch Nachhaltigkeitsaspekte geben, in denen ein Unternehmen nur Auswirkungen oder nur Risiken bzw. Chancen hat. Des Weiteren müssen auch unternehmensindividuelle IROs festgehalten werden, die nicht von den Nachhaltigkeitsaspekten aus der „Long-List“ abgedeckt sind, beispielsweise solche, die sich aus branchen- oder unternehmensspezifischen Gegebenheiten ergeben.

Bei der Sammlung der IROs müssen neben den direkten Tätigkeiten eines Unternehmens auch dessen vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten betrachtet werden. Dabei sind unter anderem Abhängigkeiten und regionale Besonderheiten zu beachten. Somit bilden die oben genannten Analysen die Grundlage für die Identifikation der IROs.

Schlussendlich entsteht eine Liste von Nachhaltigkeitsaspekten, innerhalb derer Ihr Unternehmen Auswirkungen und/oder Risiken bzw. Chancen hat. Es wird sicherlich Nachhaltigkeitsaspekte aus der „Long-List“ geben, zu denen ein Unternehmen keine IROs hat (zum Beispiel im Nachhaltigkeitsthema „Meeresressourcen“). Daher bezeichnen wir die Liste als unternehmensrelevante „Medium-List“.

 

Bewertung von Auswirkungen, Risiken & Chancen

Nachdem die unternehmensrelevante „Medium-List“ erstellt wurde, ist es erforderlich, die Auswirkungen, Risiken und Chancen zu bewerten, um festzustellen, ob sie auch wesentlich (oder auf Englisch: „material“) sind. Dabei werden erneut die zwei Perspektiven berücksichtigt. Die Auswirkungen werden gemäß der „Inside-Out“ Perspektive bzw. ihrer „Impact Materiality“ bewertet, während Risiken und Chancen gemäß der „Outside-In“ Perspektive bzw. ihrer „Financial Materiality“ bewertet werden.

Die ESRS geben klare Kategorien für die Bewertung vor (siehe folgende Darstellung), jedoch lässt der Gesetzgeber offen, entlang welcher Skala die Kategorien bewertet werden sollen. Hier müssen Unternehmen selbst entscheiden, wie sie die Skala aufbauen möchten. Oft wird eine numerische Skala von 0 bis 5 mit qualitativen Merkmalen für jede Ausprägung gewählt.

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Nach Festlegung einer unternehmensspezifischen Bewertungsskala entlang der Bewertungskategorien müssen nun alle Auswirkungen, Risiken und Chancen bewertet werden. Dieser Schritt ist oft besonders anspruchsvoll, da häufig unklar ist, worauf im Vergleich bewertet werden soll. Auch hier können die vorangegangenen Analysen – wie der Vergleich mit Wettbewerbern oder Branchenbenchmarks – hilfreich sein.

 

Einbindung von Stakeholdern

Neben der internen Durchführung legen die CSRD bzw. ESRS nahe, dass „die Zusammenarbeit mit betroffenen Interessenträgern (Anm. Stakeholder) […] für die Bewertung der nachhaltigkeitsbezogenen Wesentlichkeit von entscheidender Bedeutung" sei (vgl. ESRS 1, Textziffer 24). Somit obliegt die Art und Weise der Stakeholder-Einbindung den Unternehmen, und die Angemessenheit wird letztendlich in der Prüfung der Nachhaltigkeitserklärung überprüft. Daher ist es ratsam, die wichtigsten Stakeholder in den Prozess der Identifikation und Bewertung der IROs einzubeziehen. Die Identifizierung der wichtigsten Stakeholder ist ein integraler Bestandteil der Stakeholderanalyse zur Vorbereitung auf die doppelte Wesentlichkeitsanalyse.

Ein möglicher Ansatz zur Einbeziehung besteht darin, sowohl interne als auch externe Stakeholder nach der internen Sammlung und Bewertung der IROs einzubeziehen. Dadurch erhalten sie die Möglichkeit, die Bewertung der gesammelten IROs zu überprüfen und möglicherweise übersehene IROs zu ergänzen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, die Ergebnisse bereits durchgeführter Stakeholder-Befragungen zu nutzen (zum Beispiel Kundenbefragungen, Gallup-Umfragen, usw.).

Basierend auf dem Feedback der Stakeholder können beispielsweise einzelne IRO-Bewertungen angepasst oder übersehene IROs ergänzt und bewertet werden. Auf diese Weise wird durch die Einbindung der Stakeholder die Sammlung und Bewertung der IROs verifiziert.

 

Priorisierung der Nachhaltigkeitsaspekte in einer Wesentlichkeitsmatrix

Nach der internen Sammlung und Bewertung sowie der Überprüfung der bisherigen Ergebnisse durch Einbeziehung der wichtigsten Stakeholder können nun die Nachhaltigkeitsaspekte der „Medium-List“ final priorisiert werden.

Konkret bedeutet das, dass für die „Impact Materiality“ und die „Financial Materiality“ ein geeigneter Schwellenwert festgelegt werden muss, ab dem ein IRO als wesentlich gilt. Die Festlegung des Schwellenwerts obliegt dem Unternehmen selbst. Bei der vorgeschlagenen Skala von 0 bis 5 bietet sich beispielsweise ein Schwellenwert von 2,5 an.

Schlussendlich gelten somit Nachhaltigkeitsaspekte als wesentlich, wenn ihre Auswirkungen mit einem Wert über 2,5 bewertet wurden, ihre Risiken bzw. Chancen mit einem Wert über 2,5 bewertet wurden oder wenn beides zutrifft. Häufig wird das Ergebnis in Form einer Wesentlichkeitsmatrix dargestellt (siehe folgende Darstellung). In dieser – rein illustrativen und vereinfachten – Wesentlichkeitsmatrix gelten alle Nachhaltigkeitsaspekte, die in den hellblau hinterlegten Feldern liegen, als wesentlich. Diese wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte werden dann konsequenterweise als „Short-List“ bezeichnet.

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Alle Nachhaltigkeitsaspekte und deren IROs auf der „Short-List“ gelten als wesentlich und sind somit berichtspflichtig. Im nächsten Schritt kann auf Basis der wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte der konkrete Umfang für die Nachhaltigkeitserklärung gemäß CSRD festgelegt werden.

Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse bildet somit den Dreh- und Angelpunkt für die Berichterstattung gemäß CSRD. Erst basierend auf ihren Ergebnissen lässt sich der tatsächliche Umfang der Nachhaltigkeitserklärung festlegen und somit auch der Aufwand für alle weiteren Schritte, insbesondere der Datenerhebung, abschätzen. Daher wird dringend empfohlen, frühzeitig mit der Durchführung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse zu beginnen. Bei erstmaliger Berichtspflicht über das Geschäftsjahr 2025 sollte diese spätestens im Geschäftsjahr 2024 abgeschlossen sein, um zu wissen, welche Datenpunkte über das Geschäftsjahr 2025 tatsächlich erhoben werden müssen.